Der "Arrosto" und die klassische Konditionierung


Das Experiment mit dem Pawlowschen Hund hätte man genauso mit einem Italiener und einem Lautsprecher aus dem das Wort „arrosto“ ertönt, wiederholen können. Auch mit diesem Versuchsaufbau hätte man den Speichelfluss in Gang gesetzt…





Fertig im Topf ruht er nun: "Che la festa cominci"

 
Der Arrosto“ ist die italienische Entsprechung des „Sonntagsbratens“ oder „Schmorbratens“. Es ist also ein festliches Essen, ein etwas aufwendiges Gericht.
Aber die Mühe lohnt sich.


Die Zutaten für etwa 4 Personen (siehe auch Text)

1 Kalbs-/Schweinebraten von etwa 1-1,5 Kg
2-3 Dosen geschälte Tomaten oder
~ 1 Liter Milch  
1 Glas Rotwein
Olio extravergine di oliva
Thymian, Rosmarin, Knoblauch, Salbei, Speck nach Bedarf
Salz, Pfeffer, Natron nach Bedarf

Man kann wahlweise einen Kalbs- oder Schweinebraten nehmen. Ich mag lieber das Kalbsfleisch.  
Das Fleisch muss zuerst vorbereitet werden.
Dafür nimmt man ein kleines, scharfes Messer und sticht man damit ins Fleisch (radial) bis etwa zur Mitte. So muss es sich ungefähr anfühlen, wenn man jemanden ersticht...😠
In diesem Schnitt steckt man dann z.B. den Griff eines Holzlöffels (etwa 1 cm Durchmesser) oder einen Finger, um die Öffnung zu vergrößern.
In die so geschaffene Vertiefung schiebt man eine (der Länge nach) geviertelte Knoblauchzehe, einige Rosmarinblättern, 1-2 Pfefferkörner sowie ein kleines Stück Speck oder Lardo hinein. Mit dem Holzlöffel-Griff werden dann die Zutaten ins Fleisch leicht hineingedrückt. Diese Operation wird wiederholt, bis der Braten ganz „bespickt“ ist. Da sich das Fleisch beim Anbraten zusammenzieht, bleiben diese Zutaten auch drin.
Eine weitere Möglichkeit, den Braten vorzubereiten, ist ihn mit Speckscheiben, Rosmarin- und/oder Thymian zweigen und Salbeiblättern rundum zu belegen. Danach muss man jedoch das Fleisch mit einem, für Lebensmitteln geeigneten Faden binden, damit die Zutaten haften bleiben.
In einem ausreichend großen, schweren Topf etwas olio extravergine di oliva hineingeben (der Boden muss etwa 5 mm hoch bedeckt sein), 2-3 in Scheiben geschnittenen oder zerdrückten Knoblauchzehen, einen Rosmarin-/Thymianzweig und 2-3 Salbeiblätter hinzufügen.
Das Öl bei starker Flamme erhitzen (darf aber keinesfalls rauchen!). Den Knoblauch nach etwa 1-2 Minuten noch hellbraun herausnehmen, er darf nicht zu dunkel werden. Erst jetzt das Fleisch hineingeben (Vorsicht Spritzer) und von allen Seiten scharf anbraten. Das dauert etwa 5 Minuten.
Nun Herd abschalten und das Fleisch mit einem Glas Rotwein ablöschen. Falls zufällig der 61er Chateau Margaux alle sein sollte, nimmt man eben einen anderen kräftigen Rotwein.
Vorsicht! Durch di Hitze verdampft der Wein ziemlich schnell und der Alkohol kann sich gar entzünden, also einen Deckel bereithalten.

Mit Milch...
 
Nun gibt es verschiedene Möglichkeiten, den Braten fertig zu garen.
Die erste ist die Benutzung von Milch als Wärme- und Geschmacks-Übertrager. Man gießt bis etwa ¾ Höhe Vollmilch in den Topf hinein und lässt man das Fleisch bei kleinster Flamme und MIT Deckel etwa 2-3 Stunden (je nach Bratengröße) simmern (soll nicht "blubbern"). 


Zum Anbraten benutze ich immer die "beste Pfanne der Welt": eine einfache und preiswerte gusseiserne Pfanne. Danach gare ich das Fleisch in einem "Schmortopf" zu Ende, dessen Qualität nicht entscheidend ist.


Die Milch wird nur leicht gesalzen, da während der Garzeit einiges an Wasser verdampft was zu einer höheren Salzkonzentration führt. Wenn man sie „normal“ salzt, besteht die Gefahr, alles zu versalzen.  
Ab und zu das Fleisch umdrehen. Die Säure des Fleisches und des Weines lässt die Milch gerinnen. Das ist jedoch nur ein Problem ästhetischer Natur und hat auf den Geschmack keinen Einfluss. Am Ende nimmt man das Fleisch heraus (muss richtig „durch“ sein und beinahe zerfallen) und gießt man die Sauce durch ein Sieb.
Was heißt "am Ende"? Das Fleisch muss mit einer Gabelprobe „zerfallen“. Wenn es noch „al dente“ ist, muss man noch warten. Das ist natürlich auch Geschmacksache und wenn jemand eher „gummiges“ Fleisch vorzieht, sollte es auch essen.
Die Flüssigkeit wird dann, zusammen mit 1-2 Knoblauchzehen, 2-3 Salbeiblätter, Rosmarin-/Thymianzweige, 1-2 Tl. Mehl und eine Messerspitze Natron, in ein Mixer gegeben. Wenn man will, kann man noch ein Gläschen Brandy oder Cognac hinzufügen. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt. Man könnte z.B. auch etwas Currypulver hinzufügen, oder Kardamom, Nelken… Man sollte jedoch nicht übertreiben.
Mit maximaler Leistung wird nun alles zu einer glatten Sauce püriert. Diese wird dann nochmals gesiebt und in den Topf zurückgegossen. Nun muss die Sauce etwas eingedickt werden und das ist die Aufgabe des mitgemixten Mehls.
Es reicht, die Sauce unter Rühren einfach fast bis zum Siedepunkt zu erhitzen. Falls das Mehl nicht ausreichend war (die Sauce bleibt also zu flüssig), einen weiteren Tl. davon in etwas Wasser aufgelöst zur Sauce hinzufügen und sorgfältig umrühren. Die Konsistenz muss die einer Sauce sein, kein „Pudding“. Man sollte auch bedenken, dass beim Abkühlen die Sauce etwas dicker wird (die Fleischsäfte fangen an, zu gelieren). Falls sie am Ende zu dick sein sollte, mit etwas Milch oder Wasser verdünnen. Endgültig mit Salz und Pfeffer abschmecken. Falls die Sauce zu „sauer“ sein sollte, noch eine Prise Natron dazugeben und umrühren (schäumt).

Ein guter Rotwein ist ein Muss


Als (fast) allgemeingültige Regel sollte man ein Gericht nie im heißen Zustand abschmecken. Besser ist es, es etwas abkühlen zu lassen, abschmecken und es wieder erhitzen.

Das Fleisch wird nun, von dem eventuell benutzten Bindefaden und von den Kräutern/Speckscheiben befreit, vorsichtig (es zerfällt leicht) in Scheiben geschnitten. Dafür braucht man ein sehr scharfes Messer. Gut geht es auch mit einer normalen, guten Schere. Diese hat den Vorteil, das Fleisch nicht zu zerreißen.
Diese Operation lässt sich viel besser durchführen, wenn der Braten erkaltet ist (was für den Geschmack nach den wieder erhitzen kein Problem darstellt).
Am Ende die Fleischscheiben in dem Topf mit der Sauce erhitzen und mit Kräutern gestreut in einer Schüssel servieren (mit Kartoffeln, Gemüse, Weißbrot….).

...oder Tomatensauce?

In der zweiten Möglichkeit wird statt Milch Tomatensauce genommen. Nach Bedarf 2-3 Dosen geschälten Tomaten nehmen, pürieren (Stabmixer, Standmixer) und zum Fleisch geben. Die Prozedur ist dann wie die für die Milch-Variante.
Letztere ist etwa milder im Geschmack, die mit der Tomatensauce etwas kräftiger. Ich liebe beide. Die eventuell übriggebliebene Sauce aus der Tomatenversion eignet sich übrigens vorzüglich, um mit Spaghetti gegessen zu werden.

Oder vielleicht mit Wein?

Es gibt aber (mindestens) eine dritte Version, die den wohlklingenden Namen „brasato di bue al Barolo“ trägt. Es handelt sich um ein berühmtes Rezept aus dem Piemont.
Das vorbereitete Fleisch wird mindestens 12 Stunden lang (besser über Nacht) im Barolo, einem kräftigen Rotwein aus dem Piemont, bei Zimmertemperatur mariniert.
Ich habe das Rezept mit anderen Weinen probiert (das letzte Mal habe ich einen 4 Jahre alten Primitivo di Manduria (Apulien) genommen) und das Ergebnis war immer sehr gut.

In dem Barolo werden 2-3 Tassen gewürfelte Zwiebel, Stangensellerie, Möhren, 2-3 Nelken, Lorbeerblätter, einige zerdrückte Wacholderbeeren, Rosmarin, Thymian und Salbei hineingegeben. Das Fleisch muss nicht mit Wein bedeckt sein, es reicht bis zur Hälfte. In diesem Fall muss man es 1x nach der halben Marinier-Zeit wenden.
Dann wird das Fleisch herausgenommen, abgetupft und wie oben angebraten. Am Ende den Wein der Marinade und das Gemüse zum Fleisch geben.
Nach der Garzeit Sauce mit dem Gemüse und den Zutaten wie oben pürieren. Diesmal kein Mehl benutzen, da das pürierte Gemüse die Sauce ausreichend verdicken sollte.
Beim Garen (gilt für alle Varianten) ist es SEHR SEHR wichtig, dass die Flamme wirklich klein ist und dass der Topf einen gut schließenden Deckel hat! 
Wenn nicht, würde viel zu viel Flüssigkeit verdampfen, die Saucemenge  würde sich auf Nouvelle Cuisine-Niveau reduzieren und wenn man richtig Pech hat, wäre der Braten auch angebrannt und ungenießbar. 
Es hört sich alles sehr kompliziert an, ist es aber nicht. Wenn man sich an die Beschreibung strikt hält, kann eigentlich nichts schief gehen. 

Einen Arrosto kriegt man natürlich auch mit einem Ofen hin. Normal oder bei Niedertemperatur oder mit Dampf oder mit Vakuum oder mit Römertopf oder...

Aber das sind (ganz) andere Geschichten.

Und wie immer: buon appetito.

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